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 Quantencomputing für den Mittelstand

„Der praktische Einsatz von Quantencomputern wird innerhalb der nächsten Jahre viele Anwendungsgebiete revolutionieren“

Quantencomputing für den Mittelstand

„Der praktische Einsatz von Quantencomputern wird innerhalb der nächsten Jahre viele Anwendungsgebiete revolutionieren“

„Aus dem klassischen Mittelstand werden immer häufiger Ideen formuliert und mit der Bitte um einen Proof of Concept an uns herangetragen.“  

David Niehaus

Head of Product, Quantum Computing & AI, StoneOne AG

 

Januar 2022  I  Branche

von Dominik Diehl

Lassen sich Corona-Hotspots frühzeitig berechnen und antizipativ identifizieren? Wie lassen sich neue Medikamente künftig schneller entwickeln? Werden heutige digitale Verschlüsselungssysteme auch in einigen Jahren noch sicher sein? Der Einsatz von Quantenapplikationen hat das Potential, die Herangehensweise an drängende Fragestellungen unserer Zeit von Grund auf zu verändern. Wir sprachen mit den QC-Experten der Berliner StoneOne AG darüber, was heute schon geht und was kommt.

Die Berliner Softwareschmiede StoneOne AG beschäftigt sich mit der Nutzbarmachung von Quantenapplikationen im Allgemeinen und Quantenunterstützter Künstlicher Intelligenz (QKI) im Besonderen. Gemeinsam mit der Universität Stuttgart leiten die Softwarespezialisten das PlanQK-Konsortium – ein rund 30 Millionen Euro umfassendes Leuchtturmprojekt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Im folgenden Gespräch berichten StoneOne Vorstandschef Andreas Liebing und David Niehaus, Head of Product der StoneOne eigenen Marke für Quantencomputing Anaqor, über den aktuellen Stand der Entwicklungen und welche Erwartungen an die Technologie gerechtfertigt sind.

Herr Liebing, nicht wenige sehen im Quantencomputing eine Revolution – andere eher einen riesigen Hype, da sich bislang nur wenig Praxisnutzen zeige. Inwiefern werden Quantencomputer unsere Zukunft prägen?

Liebing: Die Frage bei Quantencomputern ist nicht das Ob, sondern das Wann: Die Entwicklungs-Roadmaps von großen Herstellern wie Google und IBM sind ambitioniert und zielen auf eine exponentielle Verbesserung in den nächsten Jahren ab, sodass Ende der 2020er Jahre Rechner mit 1 Millionen Qubits möglich sein sollen. Ob das wirklich so schnell geht, bleibt natürlich abzuwarten. Fakt ist, dass immer mehr Unternehmen mit spannenden Ideen zur Realisierung von praxistauglichen Quantencomputern auf den Markt kommen.

Das Potential hinter der Technik gilt ja als unbestritten. Aber was sagen Sie zu dem Argument, dass der praktische Nutzen dieser Technologie noch meilenweit entfernt sei?

Liebing: Der praktische Einsatz von Quantencomputern wird viele Anwendungsgebiete revolutionieren – im Bereich der chemischen und pharmazeutischen Werkstoffentwicklung wird dies bereits in den nächsten zwei Jahren erwartet. Ein weiteres Beispiel ist der Bereich Financial Risk Analysis bei Börsen etc., für den neulich eine Überlegenheit ab ca. 200 Qubits nachgewiesen wurde. Solche Quantencomputer könnten nach aktuellen Planungen bereits 2023 kommerziell zur Verfügung stehen.

Herr Niehaus, auf internationaler Ebene scheint das Thema bereits sehr prominent auf den politischen Agenden zu stehen. Wer die Berichterstattungen verfolgt, könnte meinen, es sei ein digitales Wettrüsten rund um das Quantencomputing entstanden. Wie sehen Sie Deutschland dabei aufgestellt?

Niehaus: Der Eindruck ist durchaus gerechtfertigt. Weltweit stellen Staaten massive Budgets zur Verfügung, um sich in Teilbereichen eine Vorreiterrolle zu erarbeiten. Deutschland ist aktuell insbesondere im Bereich der Forschung rund um Quantencomputer, aber auch hinsichtlich essenzieller Zubehörteile sehr gut aufgestellt. Im Vergleich mit der praktischen Anwenderseite ist allerdings noch ein Ungleichgewicht zu beobachten – das zeigt sich beispielsweise an der geringeren Anzahl von Patentanmeldungen in diesem Bereich.

Woran liegt das? Fehlt es den Unternehmen an konkreten Ideen für praktische Anwendungen?

Niehaus: Bislang treiben in erster Linie Konzerne und staatliche Institutionen die Entwicklung voran. Doch auch aus dem klassischen Mittelstand werden immer häufiger Ideen formuliert und mit der Bitte um einen Proof of Concept an uns herangetragen. Grundsätzlich haben wir den Eindruck, dass es auf allen Seiten einen starken Willen gibt, die vorhandenen Grundlagen zu nutzen und auszubauen. Die Bundesregierung hat mit dem Corona-Konjunkturpaket und der Quantencomputing Roadmap mehrere Milliarden Euro für die Förderung zur Verfügung gestellt. Davon profitieren wir auch in unserem Forschungsprojekt PlanQK, wo es um genau die Nutzbarmachung von Quantencomputerapplikationen geht. Auch international wird erkannt, dass Deutschland exzellente Forschungs- und Umsetzungsbedingungen bietet. Die stetige Ansiedlung internationaler Unternehmen in Deutschland ist ein eindeutiges Indiz dafür. Zu guter Letzt darf man nicht vergessen, dass auch die Europäische Union mit dem Projekt Gaia-X eine größere Souveränität in dem übergeordneten Bereich Datenverarbeitung und damit natürlich auch im Bereich Quantencomputing und Künstliche Intelligenz verfolgt.

Bislang sind Sie einer der ersten Anbieter für Quantenanwendungen in Deutschland. Gibt es dafür überhaupt schon einen Markt?

Niehaus: Unsere neu geschaffene Marke Anaqor soll es Unternehmen jeder Größe ermöglichen, Quantencomputing zu nutzen. Aufgrund des hohen Entwicklungsaufwandes ist es immer noch ein Feld, in dem primär Großkonzerne wie Airbus, JP Morgan und Volkswagen agieren. Weniger relevant ist das Thema für kleinere und mittelständische Unternehmen deshalb aber nicht. Wir glauben, dass bereits jetzt die Zeit gekommen ist, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie diese Entwicklung Geschäftsmodelle und -prozesse beeinflussen wird. Langlebige Produkte, die mit heutiger Verschlüsselungstechnologie ausgestattet wurden, könnten beispielsweise in zehn Jahren nicht mehr vor einer Entschlüsselung sicher sein.

Die StoneOne AG hilft mittelständischen Unternehmen dabei, die Potentiale der Quantentechnologie zu identifizieren.

Das heißt, Sie möchten künftig einer breiteren Zielgruppe den Zugang zu Quantenapplikationen ermöglichen? Wer kommt dafür in Frage?

Niehaus: Natürlich bleiben Großunternehmen ein wichtiges Segment. Nachdem diese bereits erste Testläufe gestartet haben, geht es jetzt vorrangig um die Bereitstellung von weiterer Expertise zur Realisation konkreter Projektvorhaben. Darüber hinaus adressieren wir aber insbesondere auch den gerade in Deutschland besonders ausgeprägten Mittelstand, der die aktuellen Entwicklungen eher von der Seitenlinie aus betrachtet.

Und worin genau besteht Ihr Angebot?

Niehaus: Mit der innerhalb von PlanQK aktuell entstehenden Plattform wollen wir Entwickler mit Nutzern von Quantenapplikationen verbinden – die Plattform ermöglicht es die komplette Entwicklungswertschöpfungskette abzubilden: Das heißt wir ermöglichen es nicht nur Entwicklern, sondern auch Quantencomputingherstellern, über die Plattform Applikationen, Dienstleistungen und Rechenkapazitäten anzubieten. Dadurch ermöglichen wir es diesen Akteuren sich auf ihr jeweiliges Spezialgebiet in der Wertschöpfungskette zu konzentrieren, während unsere Plattform die komplette Infrastruktur und Rechnungsabwicklung übernimmt. Darüber hinaus unterstützen wir nutzerseitig auch durch Dienstleistungen bei der Nutzbarmachung dieser Technologie: Durch Entwicklung spezifischer Applikationen, Beratung und auch Weiterbildungen – beispielsweise für IT-Abteilungen oder die Geschäftsführung.

Sie haben gerade PlanQK erwähnt – Sie, Herr Liebing, sind für die StoneOne AG ja der Konsortialführer des Konsortiums. Um was genau geht es bei diesem Projekt?  Und inwiefern kommt das Engagement den Kunden Ihrer Marke Anaqor zugute?

Liebing: PlanQK ist Leuchtturmprojekt des BMWi, um Deutschland im Technologiefeld Quantenunterstützte Künstliche Intelligenz eine Spitzenreiterrolle zu ermöglichen. Die Projektidee geht zurück auf eine Initiative der Universität Stuttgart, wonach wir nicht nur eine Plattform zur Ausführung von Apps brauchen, sondern auch mit konkreten Beispielen belegen wollen, was für ein Potenzial insbesondere Quantenunterstützte Künstliche Intelligenz innewohnt. Dazu arbeiten wir mit einem sehr breit aufgestellten Konsortium von 19 Unternehmen und Institutionen zusammen, quer über alle Größenordnungen und Industrien verteilt. Als Konsortialführer koordinieren wir zusammen mit der Universität Stuttgart, die die wissenschaftliche Leitung innehat, die Aktivitäten dieses Konsortiums, knüpfen Kontakte zu weiteren Interessierten und fokussieren uns auf die Entwicklung der Plattform. All diese Aktivitäten sind in unserer Business Unit Anaqor verortet, um von einem Brainpool aus Softwareentwicklern, Quantenphysikern, Data Scientists und Beratern zu profitieren. Damit haben wir natürlich einen hervorragenden Überblick über die aktuellen Entwicklungen im Bereich Quantencomputing und gestalten diese auch selber mit. Ein wertvoller Erkenntnisgewinn, der sich auch für unsere Kunden auszahlt.

Einmal angenommen, ein mittelständischer Betrieb kommt auf Sie zu, weil ihn das Thema interessiert und er von dem Potential dieser Entwicklung gehört hat – was können Sie für ihn tun?

Niehaus: Wir wollen im ersten Schritt helfen, die potenzielle Anwendung von Quantencomputing zu evaluieren, sodass unsere Kunden wissen, in welchen Bereichen wann und wie Mehrwerte möglich sind. Dadurch sind sie für den Einsatz der Technologie gewappnet. Kunden, die bereits den Mehrwert der Technologie identifiziert haben, helfen wir entlang der kompletten Wertschöpfungskette: Von Design über Bezug zu Nutzung der entsprechenden Applikation. Und wenn eine entsprechende App auf der Plattform nicht verfügbar ist, helfen wir diese zu erstellen.

Wohin soll die Reise für StoneOne und Anaqor gehen?

Niehaus: Die innerhalb des Forschungsprojekt entwickelte Plattform hat jetzt schon viele Interessenten und Nutzer im Beta-Testing. Darauf wollen wir weiter aufbauen, auch über die Laufzeit des Projektes hinaus, da diese Community und die technischen Möglichkeiten ein starkes Alleinstellungsmerkmal sind. Damit sehen uns auch für künftige Aufgabenstellungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette rund um das Quantencomputing als relevanter Player gut positioniert. Anaqor wird dadurch als eigenständige Product Unit einen wesentlichen wirtschaftlichen Beitrag zum Gesamterfolg und Wachstum des Unternehmens leisten und immer mehr Unternehmen dabei helfen, die Möglichkeiten der Quantenunterstützten Künstlichen Intelligenz nutzbar zu machen.

Herr Liebing, zu guter Letzt wagen wir den Sprung mit der Zeitkapsel. Wie sieht der Markt für QC in fünf Jahren aus?

Liebing: QC ist weltweit in die Geschäftsprozesse von Unternehmen jeder Größe eingezogen und leistet wissenschaftlichen Institutionen wirksame Unterstützung bei der Forschung. Unsere Plattform ist dabei der zentrale Marktplatz für Quantenapplikationen. Entwickler und Berater nutzen diese für den Vertrieb Ihrer Lösungen und können sich so voll auf ihre Stärken im Bereich der Quantenapplikationsentwicklung konzentrieren. Wann immer Unternehmen Expertise zum Einsatz von Quantencomputern benötigen, wird diese ressourcengünstig gebucht. Immer neue Anwendungsgebiete beflügeln das Geschäftsfeld der QKI überproportional, was im Gegenzug auch zu immer neuen Fragestellungen führt. Entsprechend hoch wird deshalb auch der Forschungsbedarf im Bereich von Quantenapplikationen bleiben. Die weitere Zusammenarbeit mit akademischen Institution bleibt deshalb auch in fünf Jahren noch ein zentrales Thema.

Herr Liebing, Herr Niehaus, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. 

Andreas Liebing

Vorstand / CEO StoneOne AG

Der gebürtige Berliner Andreas Liebing ist Gründer und CEO der StoneOne AG. Mit über 30 Jahren Erfahrung im IT-Geschäft zählt er zu den deutschen Visionären im Bereich Information Management und Cloud Computing. Bereits während seines Studiums an der Technischen Universität Berlin (Mathematik und Informatik) begann er, sich mit der Verarbeitung von Informationen zu befassen. Vor allem durch die Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Partnern entstand das Interesse an Künstlicher Intelligenz und Quantencomputing und die Motivation in diesem spannenden Umfeld innovative Projekte zu initiieren.

David Niehaus

Produktmanager  Quantencomputing & Künstliche Intelligenz

David Niehaus verantwortet als kaufmännischer Leiter die Product Unit Anaqor der StoneOne AG. Nach seinem Doppelmasterstudium in Berlin und Toulouse arbeitete er in USA, Frankreich, Großbritannien und Deutschland in verschiedenen Positionen in der Luftfahrtindustrie. Zuletzt war er Senior Consultant und Complexity Management Lead Deutschland bei der Beratungsgesellschaft umlaut. In dieser Funktion führte er Großprojekte mit Kunden unterschiedlichster Größen und Industrien zur Verbesserung der individuellen Produktentwicklungsorganisationen und -prozesse.

 

 

 

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